Ulrich Keßler: Medienrecht in der Realität. Aktuelle medienrechtliche Entscheidungen des VG Berlin Drucken
Ulrich Keßler, Richter am Verwaltungsgericht Berlin:

Medienrecht in der Realität. Aktuelle medienrechtliche Entscheidungen des VG Berlin1)

Die vorzustellenden Entscheidungen gliedern sich in vier Komplexe, kurz gesagt 1. wer darf senden, 2. was darf gesendet werden, 3. was passiert bei Verstößen und 4. Pressefreiheit. In den ersten drei Komplexen geht es durchweg um die gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB).

I. Zulassung/Kanalbelegung
1. Urteil vom 23. November 2003 – VG 27 A 125.02 (rechtskräftig)2)

In der ersten Entscheidung geht es um die Verlängerung einer Sendeerlaubnis. Der Sender „Fernsehen aus Berlin“ – FAB – sendet seit 1991 und verfügte über eine 1994 für sieben Jahre erteilte Sendeerlaubnis nach § 29 des Staatsvertrages über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks (MStV) für 24 Stunden auf einem drahtlosen Fernsehkanal. Sieben Jahre ist nach § 29 Abs. 4 Satz 1 MStV die Höchstdauer. § 29 MStV gilt für alle Übertragungsformen, so dass theoretisch für jede Übertragungsform eine eigene Sendeerlaubnis erforderlich wäre. § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6a Abs. 2 MStV besagt aber, dass die bislang analog terrestrisch ausgestrahlten ortsüblichen Programme über Kabelanlagen verbreitet werden müssen. Ob dieser Vorrang der terrestrischen Ausstrahlung nach deren Digitalisierung noch Sinn macht, kann bezweifelt werden; der Gesetzgeber hat aber über § 6a MStV hinaus noch keinen Handlungsbedarf gesehen.

FAB sollte nach dem ursprünglichen Konzept täglich fünf Stunden neues Programm produzieren, und zwar monothematische Magazine mit kulturellen Schwerpunkten, die dann im Rotationsprinzip ausgestrahlt werden. Anfang 2001 beantragte FAB nun die Verlängerung der Sendeerlaubnis um sieben Jahre. Bewilligt hat die MABB eine Verlängerung der Sendeerlaubnis um sieben Jahre allerdings nur für die Zeit von 12 h bis 0 h, für die Zeit von 0 h bis 12 h zunächst bis zum 31. Januar 2003 und danach um jeweils ein Jahr, soweit Kabelkapazität zugeteilt werden könne. Begründet wurde dies einerseits mit umfangreichen Programmübernahmen und einem sehr hohen Wiederholungsanteil einerseits, andererseits mit der Ungewissheit, wie viel analoge Kabelkanäle auf Dauer zur Verfügung stünden. Im Gerichtsverfahren hat die MABB diese Argumentation auf § 30 Abs. 3 Nr. 3 MStV3) gestützt. „Entsprechende Programme“ im Sinne dieser Vorschrift seien solche, die um die gleichen Kapazitäten konkurrieren. Terrestrische Ausstrahlung und Kabelverbreitung seien als Einheit zu sehen, weil viele Veranstalter die terrestrische Verbreitung – Marktanteil etwa 6% – nur beantragten, um einen sicheren Kabelplatz zu bekommen.

Die Klage von FAB führte zur Verpflichtung der MABB zur Neubescheidung des Verlängerungsantrages. Dabei versteht die Kammer die Systematik von § 30 MStV so: Bei Kapazitätsknappheit findet nach Abs. 2 ein Vergabeverfahren statt, bei einem Anspruch auf Verlängerung nach Abs. 3 nicht. Ein Anspruch kann wiederum nach Abs. 3 Nr. 3 bei Kapazitätsknappheit ausgeschlossen sein. Selbst wenn Knappheit der Kabelkapazität bei der Sendeerlaubnis für drahtlosen Rundfunk berücksichtigt werden kann, wäre die Rechtsfolge entweder ein Vergabeverfahren oder die Verlängerung der bisherigen Erlaubnis, also für 24 Stunden. Außerdem ergibt sich aus Abs. 2, der nicht nur von „entsprechenden Programmen“, sondern auch von „entsprechenden Kapazitäten“ spricht, dass terrestrische und Kabelkapazitäten gerade nicht einheitlich betrachtet werden können. Dies folgt zudem aus dem bereits angesprochenen Vorrang der terrestrischen Ausstrahlung nach § 41 Abs. 1 MStV.

Gründe für eine Versagung der Verlängerung nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 MStV hat die MABB trotz angesprochener Mängel offenbar nicht gesehen, sonst hätte sie die Sendeerlaubnis auch nicht nur teilweise verlängern dürfen. Sie ist lediglich zur Neubescheidung verurteilt worden, da es in ihrem Ermessen steht, für welchen Zeitraum sie die Sendeerlaubnis verlängert.
2. Kabelkanalbelegung ARTE, Urteile vom 25. Juli 2002 – VG 27 A 87.01 und VG 27 A 86.02 (nicht rechtskräftig)4)

Auch in dieser Entscheidung geht es um § 41 MStV. ARTE ist durch einen Staatsvertrag der Bundesländer mit Frankreich gegründet worden. Zunächst wurde Programm von 19 h bis 3 h produziert, in der restlichen Zeit liefen Wiederholungen. Die MABB legte nach § 42 Abs. 1 MStV fest, dass in den Berliner Kabelnetzen auf einem analogen Kanal von 6 h bis 19 h der Kinderkanal, in der restlichen Zeit ARTE eingespeist wurde.5) Dies entsprach der Aufteilung eines analogen Satellitenkanals zwischen KiKa und ARTE.

Seit 2000 wird ARTE 24stündig digital über Satellit ausgestrahlt und beantragte, ebenfalls 24stündig in die Berliner Kabelnetzen eingespeist werden. Die MABB lehnte das mit der Begründung ab, nur primär analog ausgestrahlte Programme müssten analog im Kabelnetz weiterverbreitet werden. Die Kammer hat entschieden, dass ARTE 24stündig ausgestrahlt werden müsse. Es ist ein auf Grund eines Staatsvertrages von ARD und ZDF mitveranstaltetes Programm und deshalb nach § 41 Abs. 1 Satz 2 MStV prioritär auszustrahlen. Die Einschränkung, dass digital erstverbreitete Programme nicht analog weiterzuverbreiten sind, kennt der MStV anders als § 36 des Bayerischen Landesmediengesetzes nicht.

Die Angelegenheit ist inzwischen – was ARTE betrifft – dadurch entschärft, dass dieses Programm mittlerweile ab 14 h analog über Satellit verbreitet wird.
3. Kabelkanalbelegung ARTE/Kinderkanal, Beschluss vom 24. Juni 2003 – VG 27 A 48.03 (nicht rechtskräftig)

Diese Entscheidung behandelt ein Folgeproblem der zuvor dargestelten. Nicht nur ARTE hat sein Programm erweitert, sondern auch KiKa schließt sein Programm inzwischen erst um 21 h ab. Da auch KiKa nach § 41 Abs. 1 Satz 2 MStV prioritär weiterzuverbreiten ist, konnte die bisherige Kanalteilung nicht aufrecht erhalten werden. Die MABB hat daher die Kanalbelegung so geregelt, dass auf dem bisherigen Kanal ARTE von 14 h bis 3 h und in der restlichen Zeit MTV 2 verbreitet wird, der KiKa von 6 h bis 21 h auf dem Kanal, auf dem bislang 24stündig Bayern 3 lief, das jetzt nur noch in der Restzeit weiterverbreitet wird.

Allerdings setzte die MABB die gesetzliche sofortige Vollziehbarkeit nach § 7 Abs. 3 MStV bis zu einer Einigung zwischen KiKa und Bayern 3 auf zuschauerfreundliche Umschaltzeiten aus. Bayern 3 dachte aber nicht daran, sich zu einigen, sondern klagte gegen die Belegungsentscheidung. Darauf hin beantragte ARTE nach § 80a VwGO mit Erfolg die Wiederherstellung der sofortigen Vollziehung. Die Neubelegung ist hinsichtlich der prioritären Verbreitung von ARTE und KiKa rechtmäßig. Die sofortige Vollziehung stellt nach Auffassung der Kammer für Bayern 3 keine besondere Härte dar, da seine – ggf. vorübergehende – Verdrängung jedenfalls nicht eklatant rechtswidrig ist. Der Medienrat hat im Rahmen seines Beurteilungsspielraums eine Abwägung getroffen, welches Programm weichen soll, der keine schwerwiegenden Mängel anhaften.
II. Zulässige Inhalte
1. Der Soldat James Ryan, Urteil vom 27. Juni 2002 – VG 27 A 398.01 (rechtskräftig)6)

Diese Entscheidung behandelt den Jugendschutz im Fernsehen. Sie ist zwar durch den inzwischen in Kraft getretenen Jugendmedienschutzstaatsvertrag JMStV teilweise überholt, für das Verhältnis von Rundfunk- und Kunstfreiheit zum Jugendschutz gleichwohl noch von Interesse.

Der fragliche Spielfilm beginnt nach einer Rahmenhandlung mit der alliierten Landung in der Normandie 1944, wobei die Kamera mitten im sehr realistisch und brutal dargestellten Kampfgeschehen steht. Er hat eine FSK-Freigabe ab 16 weil, so die Begründung der FSK, die gezeigte Gewalt bei den 12- bis 16jährigen zu völliger Verängstigung, Traumatisierung oder auch zur Abstumpfung führen könne. Nach § 3 Abs. 2 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland (RStV) vor In-Kraft-Treten des JMStV und nach § 48 Abs. 2 MStV durfte er daher erst ab 22 h im Fernsehen ausgestrahlt werden. Das gleiche gilt nunmehr nach § 5 Abs. 4 JMStV. Nach der früheren Rechtslage konnte die MABB nach § 3 Abs. 7 RStV, 48 Abs. 7 MStV Ausnahmen zulassen.

Da der Film über drei Stunden dauert, wollte Pro7 nach Erwerb der wohl sehr teuren Senderechte ihn als so genannten Blockbuster bereits um 20.15 h ausstrahlen und ließ zu diesem Zweck eine Schnittfassung herstellen, in der gut 5 Minuten der blutigsten und brutalsten Szenen fehlen. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) bescheinigte der Schnittfassung, zur Ausstrahlung ab 20 h geeignet zu sein. Die FSF ist von den privaten Rundfunkveranstaltern nach dem Vorbild der FSK gegründet worden, hatte aber seinerzeit noch nicht deren quasi-amtlichen Charakter. Immerhin waren nach § 3 Abs. 8 RStV und § 48 Abs. 8 MStV a.F. die Stellungnahmen der FSF zwingend in die Entscheidung einzubeziehen.

Pro7 beantragte eine Ausnahmegenehmigung. Der Medienrat wollte diese zunächst erteilen, sah sich aber durch ein ablehnende Stellungnahme der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm GSJP gehindert. Gemeinsame Stellen werden nach § 38 Abs. 2 RStV zur Abstimmung der Landesmedienanstalten untereinander gegründet. Die GSJP war mit Jugendschutzreferenten der Landesmedienanstalten besetzt. Als sie an ihrer Ablehnung festhielt, lehnte schließlich der Medienrat die Ausnahmegenehmigung ab, und zwar ausdrücklich zur Wahrung der Gemeinsamkeit mit den anderen Landesmedienanstalten.

Die Klage von Pro7 führte zur Verpflichtung der MABB zur Neubescheidung. Zunächst ist nicht der Medienrat zuständig gewesen, denn dieser ist nach § 12 Abs. 1 MStV nur für die Aufgaben zuständig, die nicht dem Direktor übertragen sind. Für diese Ausnahmegenehmigungen ist aber nach § 14 Abs. 4 MStV ausdrücklich der Direktor zuständig. Die Auffassung der MABB, die Entscheidung durch den Medienrat entspreche der intendierten Aufgabenverteilung zwischen Medienrat, der für Grundsatzentscheidungen zuständig sei, und Direktor, der das laufende Geschäft besorge, findet nach Auffassung der Kammer im Gesetz keine Stütze.

Ohne das an dieser Stelle vertiefen zu wollen: Ob der Medienrat das eigentliche Leitungsorgan und der Direktor nur eine Art Sekretär, oder aber umgekehrt der Direktor das eigentliche Leitungsorgan und der Medienrat ein Sondergremium für Grundsatzfragen ist, lässt sich dem Gesetz nicht ohne Weiteres entnehmen.

Für die Neubescheidung hat die Kammer darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Entscheidungen im Bereich des Jugendschutzes, die die Presse- und Kunstfreiheit betreffen, möglichst in einer gewissen Staatsferne und auf Grund einer pluralistischen Meinungsbildung ergehen sollen. Diese Anforderungen aus der Josefine-Mutzenbacher-Entscheidung7) müssen auch im Bereich Rundfunk- und Kunstfreiheit gelten. Diesen Anforderungen wird die FSF gerecht, nicht aber die GSJP. Zwar sind die Landesmedienanstalten, die Vertreter in die GSJP entsenden, staatsfern, von Gruppenpluralität kann bei dieser Zusammensetzung aber nicht die Rede sein. Demnach kann die GSJP zwar die FSF-Bewertung auf Mängel überprüfen, sie ist aber nicht berufen, eine eigenständige Bewertung zu treffen.

Diese Entscheidung hat heftige Kritik durch den Justiziar der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien Bornemann erfahren, der insbesondere beanstandet, dass der FSF mehr Kompetenz zumessen wird als der GSJP. Interessanter Weise ist nach § 9 Abs. 1 JMStV für Ausnahmeregelungen nunmehr die Kommission für Jugendmedienschutz KJM oder eine von dieser hierfür anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle zuständig. Die KJM besteht nach § 14 Abs. 3 JMStV aus zwölf Mitgliedern, davon sechs der Direktoren der Landesmedienanstalten. Das erscheint hinsichtlich Gruppenpluralität ähnlich bedenklich wie bei der früheren GSJP, hat sich aber erledigt, da inzwischen die FSF von der KJM als zuständige Stelle anerkannt worden ist.
2. Cross Promotion, Urteil vom 16. September 2002 – VG 27 A 193.00 (nicht rechtskräftig)8)

Seit Januar 2000 gibt es den Nachrichtensender N 24, eine 100%ige Tochter der ProSieben Sat1 Media AG9) . Eine weitere 100%ige Tochter ist die ProSieben Television GmbH. Zum Programmstart von N 24 strahlte Pro7 Spots aus, die auf das neue Programm hinwiesen, z.T. außerhalb der Werbepausen.

Die MABB hat gemäß § 61 Abs. 1 a.F. (heute § 69 Abs. 1) MStV beanstandet, die Ausstrahlung sei unter Verstoß gegen das Trennungs- und Kennzeichnungsgebot erfolgt. Pro7 wurde aufgefordert, Spots für N 24 künftig zu kennzeichnen und anzukündigen, und darauf hingewiesen, dass diese Spots auf das Gesamtwerbevolumen anzurechnen seien. Die Klage dagegen hatte Erfolg, weil diese Spots nach Auffassung der Kammer keine Werbung darstellen.

Gegenwärtig enthalten § 2 Abs. 2 Nr. 5 RStV und § 2 Abs. 2 Nr. 11 MStV Legaldefinitionen für den Begriff Werbung. Diese Bestimmungen existierten zum Zeitpunkt des angeblichen Verstoßes nicht, so dass die Kammer zur Auslegung die EU-Fernsehrichtlinie herangezogen hat. In der Sache macht das keinen Unterschied, da das entscheidende Merkmal der Werbung nach allen Definitionen ist, dass sie „gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird“. Dass für diese Spots eine Gegenleistung erbracht wurde, ließ sich nicht feststellen. Es handelt sich auch nicht um Eigenwerbung, da es sich dabei nach der EU-Fernsehrichtlinie um Werbung eines Veranstalters für seine eigenen Produkte handelt. Veranstalter wiederum ist die natürliche oder juristische Person, die die redaktionelle Verantwortung trägt; Pro7 und N 24 werden aber von verschiedenen juristischen Personen veranstaltet. Damit hat die Kammer zugleich den von Pro7 vertretenen „weiten“ Veranstalterbegriff abgelehnt, nach dem alle Sender einer Senderfamilie als einheitlicher Veranstalter gelten sollen.
III. Aufsichtsmaßnahmen
1. Entgeltabschöpfung, Bimmel-Bingo, Zwischenurteil (rechtskräftig) und Vorlagebeschluss vom 13. November 2003 – VG 27 A 9.0310)

Bimmel-Bingo war ein mehrfach gesendeter Beitrag in Stefan Raabs „TV total“. Dabei klingelte sein so genannter Co-Moderator Elton mitten in der Nacht an Haustüren und filmte die aufgeschreckten Bewohner. Da dabei auch Personen im Fernsehen gezeigt wurden, die sich erkennbar nicht filmen lassen wollten, liegt mit dieser Verletzung des Rechtes am eigenen Bild (§ 22 KUG) zugleich ein Verstoß i.S.d. § 69 Abs. 1 MStV gegen Bindungen dieses Staatsvertrages vor, zu denen nach § 47 Abs. 1 Satz 5 auch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze gehören, und wurde deshalb zu Recht beanstandet. Die zunächst auch gegen die Beanstandung gerichtete Klage wurde denn auch zurückgenommen.

Die Beanstandung allein erschien der MABB nicht ausreichend, weshalb sie auf das Instrument der Entgeltabschöpfung nach § 69 Abs. 3 MStV11) zurückgriff.

Die Klage hätte nach dem einfachen Recht nach Auffassung der Kammer keinen Erfolg gehabt. Wenngleich aber die Idee der Entgeltabschöpfung als Abstufung zwischen schlichter Beanstandung und Ruhen der Sendeerlaubnis nach § 70 MStV zunächst plausibel und wirkungsvoll erscheint, hält die Kammer diese Bestimmung für verfassungswidrig und hat das Verfahren deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Die Kammer ist der Auffassung, dass § 69 Abs. 3 MStV gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstößt, da der Bundesgesetzgeber diese Sanktion als Verfall in § 73 StGB und § 29a OWiG abschließend geregelt hat. Der Landesgesetzgeber ist nicht berechtigt, eine gleichartige Sanktion an ein Verhalten zu knüpfen, das nicht seinerseits strafrechts? oder ordnungswidrig ist.
2. Ausschluss vom Offenen Kanal Berlin, Urteil vom 25. April 2002 – VG 27 A 198.00 (rechtskräftig)

Offene Kanäle geben nach § 43 MStV ihren Nutzern Gelegenheit zur Darstellung ihrer Anliegen und Meinungen durch selbstgestaltete Beiträge. Nach der Homepage der MABB handelt es sich um ein Projekt, das jedem die Möglichkeit gibt, sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu nutzen. Der der Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt ist zunächst einfach: Ein Vertreter der rechten Szene ließ sich in einem seiner regelmäßigen Radiobeiträge über die Umstände der so genannten Reichskristallnacht aus und zitierte dabei aus einem von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indizierten Buch. Danach war sein Ausschluss nach § 43 Abs. 6 i.V.m. § 48 Abs. 3 Satz 1 MStV ohne Weiteres gerechtfertigt. Wichtig erscheint aber die rechtlichen Einordnung: Träger der Rundfunkfreiheit ist nach ständiger Rechtsprechung der Kammer der Offene Kanal selbst, nicht der einzelne Nutzer12) . Der Nutzer kann zudem aus seinem Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Anspruch ableiten, diese Meinung über den Offenen Kanal verbreiten zu dürfen.
IV. Pressefreiheit
1. Hausverbot im Bundestag, Urteil vom 18. Juni 2001 – VG 27 A 344.00 (rechtskräftig)13)

In dieser Entscheidung hat die Kammer das Hausrecht des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach Art. 40 Abs. 1 GG folgendermaßen definiert:

Das Hausrecht des Bundestagspräsidenten dient unmittelbar der Aufrechterhaltung und Wahrung des Hausfriedens als Grundlage für die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages. Es hat demnach präventiven Charakter. Daraus ergeben sich Umfang und Schranken seiner Ausübung. Zur Aufrechterhaltung des Hausfriedens darf danach nur eingeschritten werden, wenn eine Verletzung des Hausrechts eingetreten ist oder droht.

Es ging darum, dass im Zusammenhang mit der Kokainaffäre um Christoph Daum das Magazin „Akte 2000“ Bilder von Wischtests auf Toiletten des Bundestages zeigte, mit denen dort Spuren von Kokain nachgewiesen wurden. Da der Journalist keine Drehgenehmigung hatte, verhängte der Bundestagspräsident über ihn und den Produzenten der Sendung ein Hausverbot, das die Kammer mit der Begründung aufhob, es sei ein rein repressive Maßnahme und damit vom Hausrecht nicht gedeckt.

Kreile beklagte in seiner Anmerkung, dass die Entscheidung die bei verfassungsrechtlichen Güterkonflikten bestehende Wechselwirkung – hier zwischen Kommunikationsgrundrecht und staatsorganisatorischem Hausrecht – nicht berücksichtige. Dazu hatte die Kammer aber auch keine Veranlassung. Gelegenheit dazu ergab sich aber im folgenden Fall:
2. Akkreditierung im Bundestag, Beschluss vom 1. April 2004 – VG 27 A 81.04 (nicht rechtskräftig)

Der Antragsteller verfügte früher über einen jeweils auf ein Jahr befristeten Presseausweis des Deutschen Bundestages, eine so genannte Akkreditierung. Er publiziert ein Onlinemagazin, in dem er überwiegend die Unfähigkeit der Bundesregierung anprangert. Wegen einer nicht bezahlten Geldbuße ordnete die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen ihn Erzwingungshaft an. Daraufhin veröffentlichte er in seinem Magazin einen offenen Brief, in dem er u.A. ausführt:

es bleibt mir daher weiter nichts, als auch meinerseits erneut darauf hinzuweisen, daß ich nicht gedenke, diese Haft anzutreten

und daß ich gegen den Versuch einer Vollstreckung mit allen zur Verfügung stehenden, noch zu beschaffenden und/oder sonst geeignet erscheinenden Mitteln, Geräten, Werkzeugen, Waffen, Sprengstoff und/oder was auch immer

Widerstand

leisten werde, und zwar im Sinne des Artikels 20 IV des Grundgesetzes;

ich will zwar nicht die RAF wiederbeleben,

aber ich will das jetzt wissen, ob ein Volk, ob ein demokratischer Rechtsstaat ...

mit einer der besten Verfassungen dieser Welt, in der Lage ist,

sich gegen eine teils schwachsinnige, teils kriminelle politische Führung zu wehren

Es folgten weitere ähnliche Beiträge, woraufhin der Bundestagspräsident die Jahresakkreditierung für 2004 mit der Begründung ablehnte, gegen die Erteilung bestünden Sicherheitsbedenken, da der Antragsteller öffentlich Drohungen verbreite.

Es folgte der Antrag auf einstweilige Anordnung, wobei sich zunächst die Frage nach einer Anspruchsgrundlage stellt: Die Hausordnung des Bundestages sieht nur die Form der Erteilung eines Presseausweises vor, mithin keine Vergabevoraussetzungen. § 4 des Berliner Pressegesetzes, der nach der Rechtsprechung der Kammer und des OVG auch für Bundesbehörden gilt14) , gewährt nur einen Anspruch auf gleichberechtigte Auskunft, nicht auf Information durch Zutritt.

Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aber, dass der Zugang einer für jedermann geöffneten Informationsquelle durch die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt wird, das heißt für Medien nicht grundsätzlich anders als für die Bürger allgemein. Hoheitliche Beeinträchtigungen dieses Zugangs sind Grundrechtseingriffe15) . Im Falle des Bundestages beruht die allgemeine Zugänglichkeit auf Art. 42 Abs. 1, 44 Abs. 1 GG. Regelungen in Bezug auf den Zugang stehen nach Art. 40 Abs. 2 GG dem Präsidenten des Bundestages kraft seines Hausrechtes und der Polizeigewalt zu. Wird durch Maßnahmen im Rahmen dieser Kompetenz ein Pressevertreter ausgeschlossen, so verstößt dies jedenfalls dann gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Maßnahme durch die Vorschriften über Öffentlichkeit und Polizeigewalt offensichtlich nicht gedeckt ist oder wenn der Bundestagspräsident den angewendeten Bestimmungen einen der Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit widerstreitenden Sinn beigelegt hat.16)

Im vorliegenden Fall hieß dies, dass es, auch wenn der Antragsteller bestreitet, dass man aus seinen allgemeinen, satirisch gemeinten Äußerungen auf eine besondere Gefährlichkeit schließen könne, jedenfalls bei dem im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes anzuwendenden Maßstab nicht unvertretbar erscheint, ihn als Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages anzusehen und ihm deshalb keine Akkreditierung zu erteilen.

1) Es handelt sich um das überarbeitete Manuskript eines Vortrages vom 28. April 2004 im Rahmen des Seminars „Medienrecht“ an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Der Autor ist seit August 2001 Beisitzer in der für das Presse-, Rundfunk- und Fernsehrecht zuständigen 27. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin.

2) Die Leitsätze der besprochenen Entscheidungen sind im Thesenpapier zu der Veranstaltung vom 28. April 2004 über den Link „Studienschwerpunkt“ – „Aktuelle Information“ zu erreichen.

3) Abs. 3 lautet auszugsweise: „Der Veranstalter hat einen Anspruch auf Verlängerung der Sendeerlaubnis um einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren, wenn ... 3. die Kapazitäten für entsprechende Programme ausreichen, um anderen Bewerbern den Zugang in angemessener Zeit zu ermöglichen.“

4) VG 27 A 86.02: ZUM-RD 2002, 505.

5) Dies betrifft das Verfahren VG 27 A 87.01. Im Verfahren VG 27 A 86.02 lag keine Kanalbelegungsentscheidung zu Grunde, die hier erörterten Fragen sind aber dieselben.

6) K&R 2002, S. 499 m. Anm. Bornemann, S. 474; ZUM 2002, 758; MMR 2003, 56 m. Anm. Palzer.

7) BVerfGE 83, 130 [150].

8) ZUM 2002, 933; Entscheidung im Berufungsverfahren OVG 8 N 232.02 für dieses Jahr angekündigt.

9) Die Änderungen der Konzerngliederung im Verlaufe des Verfahrens sind im Interesse der Übersichtlichkeit hier außer Acht gelassen.

10) AfP 2004, ... (nur Beschluss); das Zwischenurteil betrifft die Zulässigkeit der Klage, soweit sie sich bereits gegen ein Auskunftsbegehren nach § 69 Abs. 3 Satz 2 MStV richtete.

11) Dessen Satz 1 „lautet: Dem Veranstalter kann aufgegeben werden, die durch Werbung im Zusammenhang mit der beanstandeten Sendung erzielten Entgelte an die Medienanstalt abzuführen.“

12) Urteil der Kammer vom 29. April 1999 – VG 27 A 42.95 – unter Hinweis auf den Veranstalterbegriff nach BVerfGE 97, 298 [310].

13) AfP 2001, 437 m. Anm. Kreile S. 458; NJW 2002, 1063

14) Urteil der Kammer vom 27. September 1993 – 27 A 9.93 –, NVwZ-RR 1994, 212 = AfP 1994, 175; bestätigt durch OVG Berlin, Urteil vom 25. Juli 1995 – 8 B 16.94 –, NVwZ-RR 1997, 32 = ZUM 1996, 250.

15) BVerfGE 103, 44 [59 f.].

16) BVerfGE 50, 234 [241 f.].