RA Prof. Dr. Johannes Weberling: Grenzen der Erteilung von Regierungsaufträgen an Medienunternehmen |
RA Prof. Dr. Johannes Weberling, Berlin/Frankfurt (Oder) Grenzen der Erteilung von Regierungsaufträgen an Medienunternehmen am Beispiel der Hartz IV- Anzeigenkampagne 2004 der deutschen Bundes- regierung[Deutschsprachige Version des Beitrags "Adjudicación de publicidad oficial: los límites que deben respetarse" des Verfassers in DIáLOGO POLITICO 3/2007 , S. 119 - 129]
1. Einleitung Eine Regierung kann über ihre Öffentlichkeitsarbeit leicht politisch Einfluß nehmen und insbesondere ihr politisch nahestehende Presseorgane durch die Erteilung von Werbeaufträgen bevorzugen. Die in der deutschen Verfassung verankerten Grundrechte beschränken deshalb die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Im August und September 2004 investierte die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder ca. 1 Mio. Euro in eine Anzeigenkampagne zur Information über die „Hartz IV“ genannten Neuregelungen im deutschen Sozialgesetzbuch. Die Anzeigen erschienen ausschließlich in überregionalen Tageszeitungen, den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sowie ostdeutschen Lokalzeitungen. Westdeutsche Lokalzeitungen wurden bei der Anzeigenkampagne fast vollständig übergangen. Ob die Bundesregierung mit der Erteilung von Anzeigenaufträgen ausschließlich an die von großen Medienkonzernen herausgegebenen überregionalen Tageszeitungen sowie an Zeitungen in den ostdeutschen Ländern, deren Bewohner der damaligen Bundesregierung besonders kritisch gegenüber standen, die verfassungsrechtlichen Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung überschritten hat, wird nachstehend dargestellt. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Nach Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Dieses sogenannte „Demokratieprinzip“ legt fest, daß sich die demokratische Willensbildung in Deutschland nur vom Volk zu den Staatsorganen hin und nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin vollziehen darf. Der Prozeß der demokratischen Willensbildung des Volkes muß wegen dieses Grundsatzes staatsfrei bleiben. Jede Tätigkeit, mit der eine Regierung in umgekehrter Richtung auf das Volk einzuwirken versucht, muß deshalb durch einen besonderen, verfassungsrechtlich legitimierten Grund gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 20, 56, 99). Allerdings hat die Bundesregierung auch die Pflicht, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren, damit die Bevölkerung ihre Politik beurteilen kann (vgl. BVerfGE 44, 125, 147 f.). Die Bundesregierung ist verpflichtet, der Öffentlichkeit ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie künftig zu lösende Fragen darzulegen. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist also nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu halten und den Bürger zu befähigen, am politischen Geschehen mitzuwirken (vgl. BVerfGE 44, 125, 147). Die Pflicht des Staates zur Öffentlichkeitsarbeit kann sich auch aus der Pflicht des Staates ergeben, die Grundrechte selbst vor Angriffen Dritter zu schützen (vgl. BVerfG, NJW 1989, 3269, 3270 f.). 3. Vereinbarkeit der Hartz IV-Anzeigenkampagne mit dem Grundrecht der Pressefreiheit „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist Wesenselement des freiheitlichen Staates und für die moderne Demokratie unentbehrlich“ (BVerfGE 20, 162, 174). Die Verankerung der Pressefreiheit in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie in Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen belegt die überragende Bedeutung der Pressefreiheit. Die Pressefreiheit ist gleichsam die Garantie für alle anderen Freiheitsrechte (vgl. BVerfGE 7, 198, 208). Das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist durch die Hartz IV-Anzeigenkampagne der Bundesregierung verletzt worden, wenn diese Aktion der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.
Die bei der Anzeigenauftragsvergabe der Bundesregierung übergangenen westdeutschen Lokalzeitungen sind als „Presse“ in den Schutzbereich des Grundrechts der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einbezogen. Zur „Presse“ zählen alle Druckerzeugnisse, die zur Verbreitung geeignet und bestimmt sind (vgl. BVerfGE 95, 28, 35). Träger des Grundrechts der Pressefreiheit ist jeder in der Presse Tätige, unabhängig davon, ob er eine natürliche Person wie ein Journalist oder eine juristische Person wie ein Zeitungsunternehmen ist (vgl. BVerfGE 50, 234, 235; 80, 124, 131). Die Vergabe der Hartz IV-Anzeigenaufträge durch die damalige Bundesregierung müßte allerdings in den Schutzbereich des Grundrechts der Pressefreiheit eingegriffen haben. Nach dem „klassischen“ Eingriffsbegriff der Entstehungsgeschichte der Menschen- und Grundrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat, setzt einen Eingriff voraus, daß der Staat final (also zielgerichtet) und unmittelbar mit Rechtswirkung und mit Zwang den Schutzbereich eines Grundrechts beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 105, 179, 300). Eingriff in diesem Sinne wäre daher in der Regel nur ein Rechtsakt des Staates in Form eines belastenden Verwaltungsaktes gem. § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Im modernen Verständnis der Menschen- und Grundrechte enthalten Grundrechte jedoch auch subjektive Gewährleistungen und weisen objektiv-rechtliche Wirkungen auf. Nach dem modernen Verständnis der Menschen- und Grundrechte ist deshalb jedes staatliche Handeln ein Eingriff, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (vgl. Pieroth/Schlink 2004, Rdnr. 240). Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung greift nicht zielgerichtet in Grundrechte ein. Die Grundrechtsbeeinträchtigung stellt gleichsam eine Nebenfolge der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dar. Die Warnung des Staates 1985 vor dem Genuß bestimmter Teigwaren hatten nicht das Ziel, bei einem bestimmten Lebensmittelhersteller Umsatzeinbußen zu erzielen. Der Staat wollte lediglich die Gesundheit seiner Bürger schützen. Die Beeinträchtigung des Herstellers war ein vielleicht vorhersehbarer, aber nicht gewollter Nebeneffekt. Eine Beeinträchtigung kann auch darin liegen, daß es durch das Verhalten des Staates zu einer relativen Benachteiligung des Grundrechtsinhabers im Vergleich zu anderen Grundrechtsinhabern kommt (vgl. Jarass/Pieroth 2004, Rdnr. 28 vor Art. 1). Grundrechte müssen ihre Schutz- und Gewährleistungsfunktion prinzipiell auch gegenüber diesen tatsächlichen Grundrechtseingriffen erfüllen (vgl. Isensee/Kirchhof 1988, § 59, Rdnr. 41). In Anbetracht der grundsätzlichen Bedeutung der Pressefreiheit für die Demokratie darf der Staat auf die Presse auch keinen Einfluß nehmen, indem er verschiedene Presseorgane unterschiedlich behandelt. Der Staat ist zur Neutralität gegenüber der Presse verpflichtet (vgl. BVerfGE 80, 124). Es mag vielleicht nicht der Zweck der Hartz IV-Anzeigenkampagne der damaligen Bundesregierung gewesen sein, die Lokalzeitungen in Ostdeutschland zu fördern. Durch die Anzeigenkampagne sind jedoch unmittelbar und vorhersehbar die Lokalzeitungen in Westdeutschland benachteiligt worden, da die Lokalzeitungen in Ostdeutschland zielgerichtet bevorzugt mit Anzeigenaufträgen versorgt worden sind. Die Schaltung von Anzeigen mit Informationen über ein weitreichendes Bundesgesetz nur in einem flächenmäßig kleinen Teilbereich der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt daher das Grundrecht der Pressefreiheit der westdeutschen Lokalzeitungen. 3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Beeinträchtigung des Grundrechts der Pressefreiheit der westdeutschen Lokalzeitungen wäre nur dann zulässig gewesen, wenn sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt war. Das Grundrecht der Pressefreiheit kann nach Art. 5 Abs. 2 GG nur durch Vorschriften allgemeiner Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt werden. Die Hartz IV-Anzeigenkampagne erfolgte im Rahmen der typischen allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit der damaligen Bundesregierung, also nicht aufgrund eines Gesetzes. Zweck der Anzeigenkampagne war auch nicht der Jugend- oder Ehrenschutz. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung der westdeutschen Lokalzeitungen könnte allenfalls wie bei allen Grundrechten durch die Schranken kollidierender anderer Verfassungsbestimmungen denkbar sein. Alle Grundrechte, auch das Grundrecht der Pressefreiheit stehen unter dem nicht ausdrücklich in der Verfassung ausformulierten Vorbehalt, daß sie auch durch mit ihnen kollidierende andere verfassungsrechtliche Normen beschränkt werden können (vgl. BVerfGE 66, 116).
Die Beeinträchtigung des Grundrechts der Pressefreiheit westdeutscher Lokalzeitungen durch die Hartz IV-Anzeigenkampagne müßte allerdings auch verhältnismäßig gewesen sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und der herrschenden Meinung in der verfassungsrechtlichen Literatur ist eine Grundrechtsbeeinträchtigung nur dann verfassungsgemäß, wenn sie zur Erreichung des jeweils verfolgten, seinerseits verfassungslegitimen Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist (vgl. Pieroth/Schlink 2004, Rdnr. 272 f.). Die damalige Bundesregierung hat mit ihrer Hartz IV-Anzeigenkampagne von ihrer aus dem Demokratieprinzip der Verfassung folgenden Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch gemacht. Sie wollte mit dieser Anzeigenkampagne ihre Politik darstellen und erläutern. Die allgemeine Form ihrer Öffentlichkeitsarbeit war im vorliegenden konkreten Fall auch zur Erreichung dieses Zweckes geeignet. Die Bundesregierung kann auch durch die Erteilung von Anzeigenaufträgen an Medienunternehmen Öffentlichkeitsarbeit betreiben (vgl. BVerfGE 440, 125). Zur Erreichung des von der damaligen Bundesregierung mit ihrer Anzeigenkampagne verfolgten Zwecks war es allerdings nicht erforderlich, Anzeigenaufträge nur an Zeitungen in Ostdeutschland und in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg zu erteilen. Denn es stand ein milderes Mittel zur Verfügung, das nicht in die Pressefreiheit eingegriffen hätte. Es wäre der damaligen Bundesregierung ohne Probleme möglich gewesen, Anzeigenaufträge auch an Lokalzeitungen in den westdeutschen Flächenländern zu erteilen. Die Durchführung der Kampagne war außerdem auch im engeren Sinne unverhältnismäßig. Die absolute Zahl der Arbeitslosen liegt in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland. Es ist kein Grund ersichtlich, warum in Ostdeutschland und in den Stadtstaaten lebende Arbeitslose ein höheres Informationsbedürfnis über die „Hartz IV“ genannten Neuregelungen im deutschen Sozialgesetzbuch gehabt haben sollten, als Arbeitslose in den westdeutschen Flächenstaaten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG war die Bundesregierung zur Durchführung der Hartz IV-Anzeigenkampagne im Rahmen ihrer allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit grundsätzlich berechtigt. Die Bundesregierung hätte die Anzeigenkampagne uneingeschränkt auch ohne Benachteiligung der westdeutschen Lokalzeitungen durch ihren weitgehenden Ausschluß bei der Vergabe der Anzeigenaufträge durchführen können. Die Hartz IV-Anzeigenkampagne 2004 der damaligen Bundesregierung Schröder hat deshalb das Grundrecht der Pressefreiheit der westdeutschen Lokalzeitungen verletzt. 4. Vereinbarkeit der Hartz IV-Anzeigenkampagne mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ lautet Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG ist ein subjektives Grundrecht und zugleich ein allgemeines Willkürverbot, das auch dort greift, wo es nicht um Ungleichbehandlungen geht. Es verbietet eine grundlose Ungleichbehandlung (vgl. BVerfGE 23, 98, 106 f.; Jarass/Pieroth 2004, § 3, Rdnr. 1). Die Exekutive, also auch die Bundesregierung ist an den Gleichheitsgrundsatz auch im Hinblick auf die Presse gebunden (vgl. BVerfGE 3, 390; 6, 26 ff.; Löffler 2006, § 4 LPG, Rdnr. 128). Die Hartz IV-Anzeigenkampagne hat durch den Ausschluß westdeutscher Lokalzeitungen auch den aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, wenn es für den Ausschluß der Anzeigenschaltung in westdeutschen Lokalzeitungen keine sachliche Rechtfertigung gab. 4.1. Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Gleichheitsgrundsatzes Der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG ist dann beeinträchtigt, wenn zwei vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt werden. Zwei Sachverhalte sind nur dann nicht vergleichbar, wenn sie zu unterschiedlichen rechtlichen Ordnungsbereichen gehören sowie in anderen systematischen und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen stehen (vgl. BVerGE 40, 121, 139 f.). Bei der Vergabe der Anzeigenaufträge für die Hartz IV-Anzeigenkampagne hat die damalige Bundesregierung zwei Gruppen von Zeitungsunternehmen ungleich behandelt. Während die Lokalzeitungs-Unternehmen in Ostdeutschland und in den Stadtstaaten Anzeigenaufträge erhielten, wurden die Lokalzeitungs-Unternehmen in den westdeutschen Flächenstaaten bei der Auftragsvergabe nicht berücksichtigt. Der Schutzbereich des Gleichheitsgrundsatzes in Art. 3 Abs. 1 GG wurde also durch die Aktion beeinträchtigt. 4.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung bei der Vergabe der Anzeigenaufträge für die Hartz IV-Anzeigenkampagne wäre nur dann gerechtfertigt, wenn dafür ein hinreichend gewichtiger Grund vorgelegen hätte (vgl. BVerfGE 100, 138, 174; Jarass/Pieroth 2004, § 3, Rdnr. 15). Der Gesetzgeber hat grundsätzlich das Recht, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben oder unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen will, solange seine Erwägungen hierzu nicht sachfremd sind (vgl. BVerfGE 90, 145, 196; Jarass/Pieroth 2004, § 3, Rdnr. 15). Der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, immer die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muß aber „ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Unterschieden und der differenzierenden Regelung bestehen“ (BVerfGE 42, 375, 388, vgl. auch Jarass/Pieroth 2004, § 3, Rdnr. 15). Die Anforderungen für die Rechtfertigung des Differenzierungsgrundes reichen vom bloßen Willkürverbot bis zur strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Sie sind um so strenger, je gravierender die Ungleichbehandlung ist (vgl. BVerfGE 95, 267, 316; Jarass/Pieroth 2004, § 3, Rdnr. 17; Pieroth/Schlink 2004, Rdnr. 438 ff.). Eine strenge Prüfung ist immer dann vorzunehmen, wenn der Schutzbereich eines anderen Grundrechts betroffen ist und der Betroffene das Kriterium der Ungleichbehandlung nicht beeinflussen kann (vgl. BVerfGE 70, 9, 24; Pieroth/Schlink 2004. Rdnr. 438). Da das Grundrecht der Pressefreiheit der westdeutschen Lokalzeitungs-Unternehmen betroffen ist und die westdeutschen Lokalzeitungs-Unternehmen keinen Einfluß darauf haben, ob sie unter das von der Bundesregierung gewählte Kriterium des westdeutschen Flächenstaates fallen oder nicht, muß die Entscheidung der Bundesregierung zur Ungleichbehandlung der Lokalzeitungs-Unternehmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Ähnlich wie bei der Beeinträchtigung des Grundrechts der Pressefreiheit muß der Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehen. Die Ungleichbehandlung muß außerdem geeignet sein, das von ihr verfolgte Ziel zu erreichen. Außerdem durfte keine weniger belastende Differenzierungsmöglichkeit zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 91, 389, 403 f.). Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen schließlich in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, also verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Bei der Auftragsvergabe für die Hartz IV-Anzeigenkampagne 2004 ist bereits unklar, welchen Zweck die Bundesregierung mit der konkreten Auftragsvergabe der Kampagne überhaupt verfolgen wollte. Der Annahme, die Bundesregierung wollte in Ostdeutschland vorrangig informieren, da dort die Arbeitslosenquote höher als in Westdeutschland ist, steht entgegen, daß Anzeigenaufträge auch an Lokalzeitungen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg vergeben worden sind. Die Verfolgung eines Sachzwecks, der in irgendeinem Zusammenhang mit der Arbeitslosenzahl steht, scheint daher ausgeschlossen. Im Gegenteil dürften sachfremde politische Erwägungen eine Rolle gespielt haben, bestimmte Bundesländer vorrangig mit Anzeigenaufträgen zu bedienen, deren Bewohner der damaligen Bundesregierung besonders kritisch gegenüber standen. Selbst wenn man zugunsten der damaligen Bundesregierung unterstellen würde, daß die der Auftragsvergabe zugrundeliegenden Erwägungen nicht völlig sachfremd waren, einen Bezug zur Betroffenheit der angesprochenen Bevölkerungskreis hatten und damit zur Erreichung dieses Zwecks auch geeignet und erforderlich waren, müßte die Ungleichbehandlung der verschiedenen Lokalzeitungs-Unternehmen im engeren Sinne angemessen gewesen sein. Die Differenzierungsgründe müßten von solcher Art und solchem Gewicht sein, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 91, 389, 401; 95, 267, 317; Jarass/Pieroth 2004, § 3, Rdnr. 27). Wegen der oben unter Ziffer 3. bereits dargestellten besonderen Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit für einen freiheitlich-demokratischen Staat gelten bei einer Ungleichbehandlung von Presseorganen jedoch besonders strenge Maßstäbe. Presseorgane haben beispielsweise einen Anspruch darauf, hinsichtlich Zeitpunkt, Umfang und Inhalt von Auskünften und Zutritt auf Pressekonferenzen gleich behandelt zu werden (vgl. Löffler 2006, § 4 LPG, Rdnr. 128 f.). Staatliche Stellen dürfen bei Auskünften auch nicht nach Auflagenhöhe, Erscheinungsort und Erscheinungsart differenzieren. Ebenso kommt es nicht auf die Effektivität oder die Seriosität eines Presseorgans oder dessen politischer Ausrichtung an (vgl. Löffler/Ricker 2005, Kap. 21, Rdnr. 2; Löffler 2006, § 4 LPG, Rdnr. 138 ff.). Die Erteilung von Anzeigenaufträgen an bestimmte Verlage beeinflußt außerdem den Wettbewerb zugunsten dieser Verlage. Die aus dem Grundrecht der Pressefreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgende Neutralitätspflicht des Staates gegenüber der Presse verbietet ihm jede Art der Einflußnahme auf Inhalt und Gestaltung der Tätigkeit der Presse (vgl. BVerfGE 80, 124; Löffler/Ricker 2005, Kap. 21, Rdnr. 2; Löffler 2006, § 4 LPG, Rdnr. 128). Selbst wenn man zugunsten der damaligen Bundesregierung unterstellen würde, daß sie sich bei der Vergabe der Anzeigenaufträge an den unterschiedlichen Arbeitslosenquoten in Ost- und Westdeutschland orientieren wollte, und ignoriert, daß sie trotzdem an Lokalzeitungen in westdeutschen Stadtstaaten Anzeigenaufträge vergeben hat, würde dieses Kriterium angesichts der strikten Pflicht zur Gleichbehandlung der Presseunternehmen die Ungleichbehandlung bei der Vergabe der Anzeigenaufträge nicht rechtfertigen können. Ungleichbehandlungen von Zeitungen nach Erscheinungsort, Auflage Effektivität und ähnlichen Kriterien sind unzulässig. Die Hartz IV-Anzeigenkampagne 2004 der Bundesregierung hat die ostdeutschen Lokalzeitungen ungerechtfertigt bevorzugt. Die Vergabe der Anzeigenaufträge an ostdeutsche Lokalzeitungen hat auch das Recht der Lokalzeitungen in den westdeutschen Flächenländern auf Gleichbehandlung verletzt. 5. Ergebnis Die Hartz IV-Anzeigenkampagne 2004 der damaligen Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder hat die Zeitungsunternehmen in den westdeutschen Flächenstaaten in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Anzeigenkampagne verstieß gegen die Pressefreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, da die Bundesregierung die Zeitungsunternehmen in den westdeutschen Flächenstaaten benachteiligt hat. Die Benachteiligung ist auch nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da sie nicht erforderlich und somit unverhältnismäßig war. Die Anzeigenkampagne verletzte außerdem den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG, da die Bundesregierung die Presse in den westdeutschen Flächenstaaten im Vergleich zur Presse in Ostdeutschland und in den Stadtstaaten ungleich behandelt hat. Die Ungleichbehandlung ist auch nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da sie in jeder Hinsicht unverhältnismäßig war. Literatur Josef Isensee/Paul Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band III, Das Handeln des Staates, Heidelberg 1988. Hans D. Jarass/Bodo Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 7. Auflage München 2004. Martin Löffler/Reinhart Ricker: Handbuch des Presserechts, 5. Auflage. München 2005. Löffler: Presserecht, 5. Auflage München 2006. Bodo Pieroth/Bernhard Schlink: Grundrechte (Staatsrecht II), Heidelberg 2004. Abkürzungsverzeichnis BVerfGE Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1; Sartorius Nr. 1) LPG Landespressegesetz NJW Neue Juristische Wochenschrift Rdnr. Randnummer VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. Mai 1976 |